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Sein Programm ist Programm

Lukas Hermsmeier

Zohran Mamdani wird wahrscheinlich der nächste Bürgermeister von New York City. Seine Forderung „Luxus für Alle“ könnte zum Rezept für Linke in aller Welt werden.

Zohran Mamdani bei der „Resist Fascism Rally“ im Bryant Park am 27. Oktober 2024 via Wikimedia Commons.

Im Frühjahr 2019 schickte sich in den USA ein junger Lokalpolitiker an, die Demokratische Partei aufzumischen. Der damals 37-jährige Pete Buttigieg, Bürgermeister der Stadt South Bend in Indiana, gab seine Kandidatur für die Präsidentschaftsvorwahlen bekannt, und es dauerte nicht lang, bis die großen Medien ihn zum neuen Shootingstar erkoren. „First Family“ titelte das Time Magazine vorfreudig und zeigte Buttigieg auf dem Cover neben seinem Ehemann. Auch die Vogue setzte ihn in Szene, schwarz-weiß sogar.

Ein visionäres oder zumindest irgendwie den politischen Umständen (Trump 1.0) angemessenes Programm konnte Buttigieg zwar nicht vorweisen, dafür aber eine Karriere wie im patriotischen Elitelabor gezüchtet: Harvard University, Rhodes-Stipendium, McKinsey, US-Army. Und natürlich sein Alter: ein Millennial unter all den Boomern und Senioren, gibt’s denn sowas? „My face is my message“, antwortete Buttigieg, als er im Fernsehen gefragt wurde, was seine Botschaft sei. Für einen Sieg in den Vorwahlen reichte es zwar nicht. Dafür wurde „Mayor Pete“ später von Präsident Joe Biden zum Verkehrsminister berufen.

Ewigkeiten scheint das her. Allzu viel Gutes ist in den USA seither nicht passiert. Während Trump seit Januar wieder an der Macht ist und den Staat faschistoid umbaut, fällt die Demokratische Partei durch himmelschreiende Harmlosigkeit auf. Immerhin auf einer Ebene lässt sich jedoch Fortschritt erkennen. Mit Zohran Mamdani, der im Juni überraschend die demokratischen Vorwahlen zum Bürgermeister von New York City gewonnen hat, rüttelt derzeit abermals ein junger Politiker an den gerontokratischen Strukturen. Anders als Buttigieg damals hat Mamdani jedoch mehr zu bieten als ein frisches Gesicht. Seine Stärke ist gerade nicht die Aufladung der eigenen Identität, wie es in vierzig Jahren Neoliberalismus eingeübt worden ist, sondern ein bestimmter Fokus seiner Politik: Mamdani denkt klassenpolitisch.

Mamdanis Kampagne identifizierte nicht nur den ökonomischen Druck als größte Sorge der New Yorker, sondern schaffte es auch, entsprechende Alternativen zu kommunizieren. Wenn Mamdani im Wahlkampf Fragen zu seiner Person bekam, spürte man schnell, dass er viel lieber über seine Agenda redet.

Sollte er die Hauptwahl im November gewinnen, wofür die aktuellen Umfragen sprechen, wäre Mamdani der erste Muslim in der Geschichte der Stadt, der das Rathaus führt. Er wäre zudem der erste Bürgermeister von New York, der in einem afrikanischen Land (Uganda) geboren wurde; der erste mit asiatischen Wurzeln (seine beiden Eltern kommen aus Indien); der erste, der vor seinem Einstieg in die Politik eine Laufbahn als Rapper hatte; und mit dann 34 Jahren auch der jüngste New Yorker Bürgermeister in über einem Jahrhundert. 

So bemerkenswert diese biografischen Marker sind – über Mamdanis Erfolg verraten sie nicht viel. Wesentlich entscheidender ist sein politisches Programm. In einer kürzlich veröffentlichten Umfrage unter Mamdanis Wähler:innen wurden zwei Punkte daraus als deutlich dominierende Faktoren genannt: „das Leben bezahlbarer zu machen“, sowie „Reiche zu besteuern und sich gegen Großkonzerne zu behaupten“. Mamdanis Kampagne identifizierte nicht nur den ökonomischen Druck als größte Sorge der New Yorker, sondern schaffte es auch, entsprechende Alternativen zu kommunizieren. Wenn Mamdani im Wahlkampf Fragen zu seiner Person bekam, spürte man schnell, dass er viel lieber über seine Agenda redet. Dies sind die Probleme. Und das mögliche Lösungen. Hier ist die große Masse der Arbeiter:innen. Und dort ein paar Milliardäre mit zu viel Macht. Statt das eigene Gesicht zur Kernbotschaft zu (v)erklären, zeigt er auf das größere Ganze. 

Linke Vordenker:innen aus den verschiedensten politischen Zusammenhängen haben in der Geschichte immer wieder die Wichtigkeit einer positiven Überzeugungskraft betont. Der Revolutionär Victor Serge etwa schrieb in den 1930er-Jahren, dass sich der Sozialismus nicht durchsetzen werde, indem er sich aufzwingt, sondern nur, „wenn er dem Menschen bessere Verhältnisse als der Kapitalismus bietet; einen besseren Lebensstandard, mehr Gerechtigkeit, mehr Freiheit, eine größere Achtung des Menschen.“

Angesichts des gegenwärtigen reaktionären Backlashs überall auf der Welt und der Hindernisse, denen sich linke Kräfte insbesondere in den USA gegenübersehen, ist es umso erstaunlicher, dass Mamdani gegen den Trend erfolgreich ist.

Ähnlich klang das, was mir die in Kalifornien lebende Aktivistin Rachel Herzing vor einigen Jahren in einem Interview sagte: „Wir müssen dafür stehen, dass unsere Ideen schöner, besser und praktischer sind. Wir müssen unser Zeug unwiderstehlich machen“, so Herzing, die zu den Gründer:innen der abolitionistischen Organisation Critical Resistance gehört. Und der nordirische Autor Richard Seymour formulierte es neulich gegenüber der Zeitung analyse & kritik folgendermaßen: „Unser Argument muss sein, und wir müssen das in der Praxis zeigen, dass man viel bessere und komplexere Freuden am Leben hat, wenn man nicht versucht, jemanden zu beherrschen.“ 

Mamdani ist einer der wenigen westlichen Politiker:innen der Gegenwart, die diesen linken Selbstanspruch einlösen. Das Leben müsste für die große Masse der Menschen nicht so mühselig sein, sagt er. Es ginge anders, mit allgemeingültigen Sozialstandards und einem umfassenden Ausbau öffentlicher Infrastrukturen. Mamdanis Forderungen, etwa eine kostenlose Kinderbetreuung, freier und schneller Busverkehr, sowie ein Mietendeckel, mögen sozialdemokratische Basics sein – in den USA sind sie fast schon revolutionär. Wenn man die Prinzipien dahinter weiterdenkt, lässt sich ein Horizont erkennen. „Die Regierung muss eine Agenda des Überflusses vorlegen, die die 99 Prozent über die 1 Prozent stellt“, sagt Mamdani. Eine Art Luxus für alle also.

Der Slogan „Luxus für alle“ kam während der Pariser Kommune 1871 auf. Die Formulierung ging auf den französischen Dichter Eugène Pottier zurück, der selbst Teil der Bewegung war und nach deren gewaltsamer Zerschlagung die Internationale schrieb, bis heute das Kampflied der sozialistischen Arbeiter:innenbewegung. Laut der Autorin Kristin Ross meinte Pottier mit „Luxus für alle“ „die Verschönerung der Dörfer und Städte, das Recht eines jeden Menschen, in einer angenehmen Umgebung zu leben und zu arbeiten“. In ihrem gleichnamigen Buch Luxus für alle beschreibt Ross, welche revolutionären Gesellschaftsmöglichkeiten jenseits von Kapital und Nationalstaat die Pariser Kommunarden damals entwickelten.

Nun ist Mamdani weder Kommunard noch Kommunist, wie es ihm rechte Boulevardmedien und Trumpisten gerne vorwerfen – sonst wäre das Amt des Bürgermeisters von New York wohl auch nichts für ihn. Er ist vielmehr ein demokratischer Sozialist in der Tradition von Eugene Debs und Bernie Sanders, von denen es in den USA zunehmend viele gibt. Angesichts des gegenwärtigen reaktionären Backlashs überall auf der Welt und der Hindernisse, denen sich linke Kräfte insbesondere in den USA gegenübersehen, ist es umso erstaunlicher, dass Mamdani gegen den Trend erfolgreich ist. Auch unter den Bedingungen von Trump 2.0 lässt sich ein Zukunftsbild entwerfen, das „Luxus für alle“ näher kommt. Als er am Abend der Wahl vor seinen Unterstützer:innen stand, sprach Mamdani von einer bezahlbaren, sicheren und lebenswerten Stadt, in der die Menschen „die Früchte ihrer Arbeit genießen können“.

Beherzigt wurde die Organizing-Maxime „Meet them where they are“, die physisch und metaphorisch gemeint ist. Um Menschen zu erreichen, muss man ihre Lebensrealität verstehen, Anknüpfungspunkte finden, sie dort „abholen, wo sie sind“, online und offline.

Eine Programmatik ohne umklammernde Erzählung ist genauso wenig wert wie eine Erzählung ohne konkrete Programmatik. Und selbst diese Kombination reicht kaum, wenn dahinter keine Bewegung steht. In Mamdanis Wahlkampf kamen Story, Programm und Bewegung zusammen. Über 50.000 Freiwillige, angetrieben von den Democratic Socialists of America, zogen monatelang von Tür zu Tür, um für den Kandidaten zu werben. Auf den Social-Media-Kanälen sah man Mamdani, wie er von einem Ort zum anderen sprang, um mit Wähler:innen in Kontakt zu kommen. Beherzigt wurde die Organizing-Maxime „Meet them where they are“, die physisch und metaphorisch gemeint ist. Um Menschen zu erreichen, muss man ihre Lebensrealität verstehen, Anknüpfungspunkte finden, sie dort „abholen, wo sie sind“, online und offline.

So lässt sich auch die Strategie dahinter verstehen, dass Mamdani von seiner früheren Forderung abgerückt ist, der Polizei die Mittel zu entziehen. Die große Mehrheit der Bevölkerung hält diese Idee für zu radikal, was nicht zuletzt an Jahrzehnten ideologischer Vorarbeit und Crime Panic liegt, doch dieses ideologische Fundament lässt sich eben auch nicht ignorieren. Wer im Jahr 2025 Bürgermeister von New York werden will, kommt mit Defund the Police schwer weiter. Mamdanis erklärtes Ziel ist es nun aber immer noch, den Kontakt zwischen Menschen und Staatsgewalt zu reduzieren. Entstehen soll eine neue Behörde für Gewaltprävention, psychologische Notfälle und Sozialarbeit im öffentlichen Raum. Mit dem Ansatz, Ängste ernst zu nehmen ohne Angstmacherei zu betreiben, stimmt die Richtung mit dem ursprünglichen Ideal überein. 

Mamdanis Erfolg wurde von vielen Medien und politischen Kräften als ein New Yorker Phänomen eingeordnet: spezifischer Kandidat, spezifische Umstände, nice for them. Ganz falsch ist das nicht. In den Vororten von Houston oder auf dem Land in Montana lässt sich ein muslimischer Sozialist als gewählter Volksvertreter tatsächlich schwer vorstellen. Mamdani hat jedoch gerade durch die Artikulierung einer universellen Vision überzeugt: ökonomische Gerechtigkeit und gleiche Rechte für alle. Lernen lässt sich genau das. Weil dem Faschismus nicht mit zentristischen Ideen begegnet werden kann, muss plausibel gemacht werden, dass es in der Bevölkerung viel mehr Gemeinsamkeiten gibt als die meisten Menschen denken. Hohe Lebenskosten, niedrige Löhne und kaputte Infrastrukturen sind nicht durch Migration, trans Menschen oder Wokeness verursacht. Und das gilt für Metropolen wie New York und Berlin genauso wie für suburbane und ländliche Regionen. Überzeugend ist Mamdanis Klassenpolitik auch deshalb, weil er trotz Fokus auf explizit ökonomische Themen die anderen Fragen nicht beiseite wischt. Deutlich wird das besonders in seinem Einsatz gegen den Genozid in Gaza. Wer Prinzipien hat, verliert oben vielleicht Freunde, gewinnt unten aber Glaubwürdigkeit.

In der Kampagne gegen Mamdani laufen die reaktionären Ordnungsprinzipien des modernen Amerika zusammen: Red Scare, anti-muslimischer Rassismus, Hypernationalismus und die Instrumentalisierung von Antisemitismus.

In der Kampagne gegen Mamdani laufen die reaktionären Ordnungsprinzipien des modernen Amerika zusammen: Red Scare, anti-muslimischer Rassismus, Hypernationalismus und die Instrumentalisierung von Antisemitismus. Als Mamdani in einer TV-Debatte gefragt wurde, ob er als gewählter Bürgermeister nach Israel reisen würde, gab er die nüchterne wie überzeugende Antwort, dass er sich lieber um die jüdischen Menschen in New York kümmere. Die Angriffe auf Mamdani haben in ihrer Plumpheit fast etwas Verzweifeltes. Von Seiten seines Konkurrenten Andrew Cuomo etwa wurde ein Flyer produziert, der Mamdani mit verlängertem und verdunkeltem Bart zeigte. Die anderen machen sein Gesicht zum Thema, nicht er selbst.

Die Gegenkräfte werden in den kommenden Monaten noch einmal mobilisieren. Bislang sieht es so aus, als hätte Mamdani auf jeden Angriff eine konstruktive Antwort parat. Gewinnt er im November, fangen die Probleme allerdings erst richtig an. Zum einen ist man als Bürgermeister von New York City von den politischen Rahmenbedingungen des Bundesstaates abhängig. Die allermeisten Steuersätze etwa lassen sich ohne das Einverständnis der Gouverneurin nicht verändern. Zum anderen werden viele konservative Kräfte, von der Polizeigewerkschaft bis AIPAC, mit aller Macht zu verhindern versuchen, dass die Stadtregierung positive Resultate vorzeigen kann. Dass Mamdani mit großer Wahrscheinlichkeit auch ein paar linke Herzen brechen wird, liegt demnach weniger an ihm, sondern an der Natur des Amtes.

„Luxus für alle“, bis dahin ist es also noch ein langer Weg. Und Luxus für alle an einem Ort, das ist ja sowieso ein Widerspruch für sich. Ohne größere ökonomische und politische Transformationen lassen sich viele Dinge, die Mamdani fordert, nur bedingt umsetzen. Allein, dass jemand im Rathaus säße, der bestimmte Weichen zur Umverteilung von Macht und Ressourcen setzt, wäre jedoch ein enormer Fortschritt. New York hätte unter Mamdani bessere Probleme. 

Lukas Hermsmeier lebt als freier Journalist und Autor in New York City. Er schreibt unter anderem für “Die Wochenzeitung”, “taz” und “The New York Times”. 2022 erschien sein erstes Buch “Uprising – Amerikas neue Linke” (Klett Cotta).

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