Die verfolgte Unschuld

„was das deutsche Feuilleton nie verstehen wird: Es geht in der Debatte um Omri Boehm nicht um Meinungsfreiheit. Es geht nicht darum, ob man die israelische Regierung kritisieren darf (als gäbe es hier eine Leerstelle oder gar Tabu). Es geht um Israelhass pur, antiisraelische Auslöschungsphantasien, die unerträgliche politische Instrumentalisierung des Holocaust, BDS-Unterstützung – und all das bei der Gedenkrede in Buchenwald.“
Das ist ein — sehr typischer — Post von Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, zu dessen Verteidigung fast das gesamte Feuilleton dieses Landes eine Woche lang empörungsschäumend auf selbsterrichteten Barrikaden stand. Ja, genau, dasselbe Feuilleton, das Engel im obenstehenden Post derart ins Gebet nimmt, ist gerade in Mannschaftsstärke zu seiner Ehrenrettung angetreten.
Es lohnt sich, Engels Post näher anzuschauen. Härter geht es in der (deutschen) Debatte ja eigentlich nicht: „Israelhass“, „Auslöschungsphantasien“, „unerträgliche Instrumentalisierung des Holocaust“. Die Frage bleibt, worauf sich diese Begriffe eigentlich beziehen. Allen Ernstes auf Omri Boehm, den international hoch angesehenen, israelisch-deutschen Philosophen, der in komplexen Texten große Fragen von Universalismus und Menschenrechten verhandelt?
Da nur Boehms Name in diesem Post genannt wird, rückt Engel ihn bewusst in die Nähe seiner dröhnenden Kampfbegriffe. Schließlich war es Boehm, der zum 80. Jahrestag der Befreiung die Gedenkrede in Buchenwald halten sollte, bis es der israelische Botschafter in Deutschland durch eine skandalöse, aber von kaum jemandem skandalisierte Intervention verhinderte. Rein sprachlich zielen Engels Begriffe also schwammig auf „die Debatte“, und bleiben doch infam an Boehm hängen.
So funktionierte bisher die schwarz-weiße Welt des Philipp Peyman Engel, der jetzt dagegen in Schutz genommen wurde, dass womöglich auch er Opfer von „Geraune im Netz“ werden könnte. Das ist wirklich putzig.
Auf unverantwortliche Weise befeuert die JA die Ängste ihrer Leser, die sich von mordlustigen Israelfeinden und Antisemiten, seien es linke Künstler, seien es muslimische Nachbarn, geradezu umstellt fühlen müssen.
Quasi untergehakt mit dem israelischen Botschafter Ron Prosor, einem Social-Media-Warrior der undiplomatischen Extraklasse, ist Engel einer der lautesten digitalen Radaubrüder eines so eindimensionalen wie folgenreichen Narrativs, in dem die deutschen Feuilletons mehrheitlich seit Jahren festhängen. In diesem Narrativ ist praktisch jeder des Antisemitismus und/oder des Israelhasses verdächtig, und wer das anzweifelt, beweist es genau dadurch selbst.
Engel also: „Es gibt Äußerungen, die sind unverzeihlich“, „bei Menschenhass hört der Dialog auf“ (was „Menschenhass“ im Anlassfall ist, bestimmt selbstredend Engel selbst), „das ZDF trägt dazu bei, dass Judenhass hoffähig wird“ — überall, wohin er seinen grimmigen Röntgenblick richtet, findet er erwartungsgemäß „lupenreinen Antisemitismus“. Oft ist er in vorderster Linie dabei, Politiker — etwa die ehemalige Kulturstaatsministerin Claudia Roth oder die ehemalige Vizepräsidentin des Bundestags, Aydan Özoguz — zum Rücktritt aufzufordern, und besonders ein Zitat von Engel wird seit Jahren immer wieder geteilt: „Es sind Islamisten, säkulare Muslime und Linksextreme, die uns das Leben zur Hölle machen“. Mit „uns“ sind die in Deutschland lebenden Juden gemeint, für die zu sprechen Engel sich qua Funktion anmaßt.
Philipp Peyman Engel hat die Jüdische Allgemeine, deren Chefredakteur er kurz vor dem 7. Oktober 2023 wurde, zu einer daueranklagenden, selbstgerechten Trompete gemacht, noch mehr, als sie es ohnehin schon war. Auf unverantwortliche Weise befeuert die JA die Ängste ihrer Leser, die sich von mordlustigen Israelfeinden und Antisemiten, seien es linke Künstler, seien es muslimische Nachbarn, geradezu umstellt fühlen müssen.
Vieles entbehrt der sachlichen Grundlage, ist aber so geschickt formuliert wie jener Tweet gegen Omri Boehm. Der erst vor kurzem verstorbene kanadisch-deutsche Soziologe Y. Michal Bodemann, der sich jahrzehntelang mit dem deutsch-jüdischen Verhältnis auseinandergesetzt und dafür den Begriff „Gedächtnistheater“ geprägt hat, widmete sich in seinem letzten veröffentlichten Text auch der von Engel verantworteten Publikation. Denn obwohl ihr Untertitel „Wochenzeitung für Politik, Kultur, Religion und jüdisches Leben“ laute, merkte Bodemann spitz an, dass sie „eher an ein Reisemagazin für Israel-Tourismus erinnert, mit viel Archäologie, israelischer Küche, Militär und Hisbollah, doch kein Wort über Diskriminierung jüdischer und nichtjüdischer Minoritäten in Israel oder Korruption im Umkreis von Netanyahu und der Landnahme gewalttätiger Siedler in den besetzten Gebieten.“
Jüdische Intellektuelle von internationalem Rang machen einen großen Bogen um die JA und nennen sie „das deutsche Breitbart News“. Politisch verlässliche Nichtjuden hingegen wie etwa Stefan Laurin, Herausgeber des einflussreichen Diffamierungs-Blogs „Ruhrbarone“ (Spezialgebiet: Durchforsten alter BDS-Unterschriftenlisten zur öffentlichen Skandalisierung von „linken“ Künstlern) sind dort gern gesehene Autoren.
Ein deutliches Urteil. Die Jüdische Allgemeine wird vom Zentralrat der Juden in Deutschland herausgegeben — einer „politischen, keiner moralischen Institution“, wie Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, einmal so treffend wie leider weithin unverstanden sagte. Und dieser Zentralrat, dessen journalistisches Organ die JA ist, war, gelinde gesagt, auch schon einmal liberaler und weniger identitär.
Die JA gibt sich heute nicht einmal mehr den Anschein, das breite deutsch-jüdische Meinungsspektrum abzubilden, das theoretisch von der ganz linken „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“ bis hin zu den „Juden in der AfD“ reicht. Vielleicht müsste auch öfter daran erinnert werden, dass Juden ganz normale Menschen sind, mit allen denkbaren vernünftigen und unvernünftigen Meinungen, Ängsten und Widersprüchen. Jüdische Intellektuelle von internationalem Rang machen einen großen Bogen um die JA und nennen sie „das deutsche Breitbart News“. Politisch verlässliche Nichtjuden hingegen wie etwa Stefan Laurin, Herausgeber des einflussreichen Diffamierungs-Blogs Ruhrbarone (Spezialgebiet: Durchforsten alter BDS-Unterschriftenlisten zur öffentlichen Skandalisierung von „linken“ Künstlern) sind dort gern gesehene Autoren. Das kann die JA natürlich so halten, für andersdenkende, liberal-progressive bis linke Juden gibt es zumindest international andere, intellektuell anspruchsvollere Publikationen. Und zur politischen Information genügt im Grunde, die englischsprachige Ha‘aretz zu lesen, in der etwa zum Gaza-Krieg täglich Dinge stehen, die Engel vermutlich stracks zu „Israelhass pur“ erklären würde, zumal er selbst ganz pauschal alle Menschen in Gaza als Angehörige der Hamas, also als Terroristen betrachtet.
Zum Problem wird die Blattlinie der Jüdischen Allgemeinen, weil ein Großteil der nicht-jüdischen deutschen Feuilletonjournalisten (die Auslandskorrespondenten und Kriegsberichterstatter vor Ort seien hier ausdrücklich ausgenommen) andere jüdischen Meinungen und Publikationen jenseits der JA weder kennt noch liest — und die Überzeugungen des Zentralrats und seiner Jüdischen Allgemeinen für „die jüdische Position“ hält, so in Stein gemeißelt und koscher gestempelt wie die Gesetze, mit denen Moses den Berg herabschritt. Und weil dadurch deren ziemlich extreme Blattlinie schleichend zur moralischen Richtschnur des deutschen Feuilletons geworden ist.
Es gab Zeiten, da wurden Debatten über Antisemitismus, den Nahostkonflikt und die israelische Besatzungspolitik größtenteils den Juden überlassen. Sollten die sich doch unter sich schlagen — da griff man als post-arischer Deutscher lieber gar nicht ein. Durch die intrinsischen Zuspitzungen der Digitalmoderne änderte sich das ebenso wie durch stärkere Einwanderung aus Israel nach Deutschland und dementsprechender neuer, sehr (israel-)regierungskritischer Stimmen. Und schließlich begannen deutsch-jüdische Akteure daran mitzuwirken, andersdenkende Juden zu delegitimieren. Genannt seien hier nur die Sexkolumnistin Mirna Funk und Anna Staroselski, Sprecherin des jüdischen Vereins WerteInitiative. Staroselski sprach etwa der Philosophin und Direktorin des Potsdamer Einstein-Forums, Susan Neiman ab, als gebürtige Amerikanerin den deutschen Antisemitismus einschätzen zu können, obwohl Neiman länger in Deutschland lebt als Staroselski auf der Welt ist.
Während es vor 90 Jahren überlebenswichtig war, sämtliche Hinweise auf jüdisches Blut im eigenen Stammbaum zum Verschwinden zu bringen, ist es heute unabdingbar, einen oder mehrere jüdische Vorfahren vorzeigen zu können, um in den einschlägigen Debatten auf den vorderen Plätzen mitspielen zu können
Und schließlich fielen in den letzten Jahren alle Schamgrenzen, anderen öffentlich ihr Judentum abzusprechen. All das kann man nachlesen: Etwa als der Publizist Max Czollek vom Schriftsteller und Berufspolemiker Maxim Biller der mangelnden Jüdischkeit bezichtigt worden ist (ein Vorschein des derzeitigen Kasperltheaters um Philipp Peyman Engel). Hoffentlich schreibt irgendwann jemand einen wirklich lustigen Roman darüber, obwohl sich die Frage stellt, wer in diesem Land frei genug wäre zu lachen.
Summarisch lässt sich folgende Banalität festhalten: Während es vor 90 Jahren überlebenswichtig war, sämtliche Hinweise auf jüdisches Blut im eigenen Stammbaum zum Verschwinden zu bringen, ist es heute unabdingbar, einen oder mehrere jüdische Vorfahren vorzeigen zu können, um in den einschlägigen Debatten auf den vorderen Plätzen mitspielen zu können. Es ist dasselbe System, bloß auf den Kopf gestellt. Ganz so, als könnte das Publikum nicht zwischen Argument und Polemik, zwischen Debatte und Diffamierung unterscheiden.
Wer Philipp Peyman Engel gegen unfaire Gerüchte verteidigt, sollte die lange Reihe der von ihm unfair Attackierten in seine Überlegungen mit einbeziehen. Bislang hat das niemanden interessiert. Bislang ist die vermeintliche Kampagne Feldmans hauptsächlich eine Gegenkampagne der Engel-Unterstützer.
Träte man nur einen Schritt zurück, könnte man also auf die Idee kommen, dass für die Qualität der deutschen Debatte ein ausgewogener, nicht in den Sozialen Netzwerken herumtobender, das schöne alte Prinzip von Rede und Gegenrede nicht nur respektierender, sondern sogar fördernder Chefredakteur einem makellos jüdischen jederzeit vorzuziehen wäre. Auch, gern und sogar für die Jüdische Allgemeine. Wochenzeitung für Politik, Kultur, Religion und jüdisches Leben.
Man muss Feldmans Schachzug nicht gut finden, um zu erkennen, dass sie einen bereits existierenden Spieß umdrehen wollte. Zwar steht sie ihrem Gegenpart in Social-Media-Lautstärke wahrlich in nichts nach, hat im Vergleich zu Engel aber nur ihre eigenen Leser:innen und Follower:innen hinter sich, nicht die geballte (medien-)politische Macht von Zentralrat und „jüdischer Allgemeinen“.
Philipp Peyman Engel ist nach eigener Aussage Opfer einer „Rufmord-Kampagne“ geworden; wegen seiner „politischen Positionen“, sagt er, solle er „demontiert werden“. Er hat also genau dort ein Glaskinn, wo er selbst anderen so gern draufschlägt. Mit dem, was seine Gegenspielerin, die Autorin Deborah Feldman (Unorthodox) über ihn geschrieben hat, muss man sich nicht lange aufhalten. Es ist, verglichen mit der ganzen Aufregung, ziemlich lächerlich. Unter Berufung auf ein Familienmitglied, das anonym bleiben will, erzählt Feldman in ihrem inkriminierten Artikel, dass Engels aus dem Iran stammende Mutter ihr Judentum erst recht spät entdeckt haben könnte, während die restliche Familie weiterhin der universalistischen Bahai-Religion angehören soll. Unter ständigem Verfolgungsdruck flüchteten sich iranische Juden vor allem im 19. Jahrhundert in die Bahai-Religion und legten sie später wieder ab, das wäre nicht besonders berichtenswert. Denn auch die Bahai wurden und werden brutal verfolgt.
In Feldmans Essay geht es aber auch darum, dass alle Juden, die am deutschen Diskurs teilnehmen, Feldman selbst eingeschlossen, auf die eine oder andere Weise missbraucht und instrumentalisiert werden. Sogar, wenn sie aktiv ihre jüdische Identität einsetzen, um Gehör zu finden oder einen besseren Punkt zu machen. Bedenkenswert und sicherlich nicht falsch sind Feldmans vorletzte Sätze: „Ich fürchte, bis wir die Instrumentalisierung und Ausbeutung der jüdischen Identität hier und anderswo aufarbeiten, werden andere über unsere Identitäten viel mehr verfügen als wir selbst. Deshalb bin ich bereit, um diese Aufarbeitung zu ringen und zu kämpfen.“
Man muss Feldmans Schachzug nicht gut finden, um zu erkennen, dass sie einen bereits existierenden Spieß umdrehen wollte. Zwar steht sie ihrem Gegenpart in Social-Media-Lautstärke wahrlich in nichts nach, hat im Vergleich zu Engel aber nur ihre eigenen Leser:innen und Follower:innen hinter sich, nicht die geballte (medien-)politische Macht von Zentralrat und „jüdischer Allgemeinen“. Vor allem waren es bisher ausnahmslos jene von der Feldman-Seite, also jene, die wie etliche andere deutsche Juden und hier lebende Israelis die israelische Regierungspolitik kritisieren, denen man öffentlich ihr Judentum abgesprochen, ihnen „jüdischen Selbsthass“ oder die mangelnde Kenntnis deutscher Verhältnisse unterstellt hat.
Ob Deborah Feldman das, was sie mit ihrem Text „Die deutsche Lebenslüge“ (im Titel fast wortgleich zu Engels neuem Buch „Deutsche Lebenslügen – Der Antisemitismus, wieder und immer noch“) losgetreten hat, wohl vorausgesehen hat? Durch die Feuilletonkonvulsionen, die folgten, wirkt ihr Text nun beinahe wie eine paradoxe Intervention, ein medizinisches Kontrastmittel, das die befallenen Gebiete gut sichtbar einfärbt.
Ein Skandal ist es in Deutschland eben nicht, dass der israelische Botschafter im Alleingang einen von einer deutschen Gedenkstätte ganz bewusst eingeladenen Redner zu canceln vermag. Dass dieser Botschafter nicht von der damals bereits abgewählten, also eigentlich nichts mehr zu verlieren habenden Außenministerin einbestellt wurde, auf dass ihm einmal das Prinzip der Rede- und Meinungsfreiheit in einfachen Worten erklärt werde: Erst wird gesprochen, dann wird diskutiert. Und nicht schon vorher als missliebig denunziert, was man noch gar nicht kennt.
Ein Skandal scheint es auch keineswegs zu sein, dass nur wenige den ausgeladenen Gelehrten Boehm verteidigten, schon gar nicht gegen die Tweets von Engel. Dass Boehms Text zwar in der Süddeutschen abgedruckt, inhaltlich aber kaum diskutiert wurde — von einem Text Thomas Assheuers in der ZEIT und ein paar missgelaunten Kommentaren des FAZ-Herausgebers Jürgen Kaube abgesehen, der wieder einiges zu belehren hatte, obwohl, wie er schiedsrichterlich knurrte, die Rede ruhig hätte gehalten werden dürfen. Und dass man dann noch einem Leichtgewicht wie dem FAZ-Theaterkritiker Simon Strauss dabei zusehen musste, wie er sich in den Versatzstücken der hiesigen Lieblings-Anklageformeln beinahe selbst strangulierte: „Die hochamtliche Instrumentalisierung des deutschen Holocaustgewissens als Argument gegen die deutsche Israelsolidarität stellt einen Tabubruch dar“ — Instrumentalisierung, Holocaust, Israel, Tabubruch — alles da, nur irgendwie cringe angeordnet.
Das Einzige, was in den deutschen Feuilletons zum gigantischen Skandal werden kann, ist die zart angezweifelte Jüdischkeit eines Chefredakteurs, der aus ganz anderen, nämlich fachlichen Gründen schon längst einmal hätte auffallen müssen.
Und schließlich hätte es in anderen Ländern wohl zumindest zu einer öffentlichen Diskussion geführt, dass das deutsche Staatsoberhaupt (Steinmeier) den israelischen Premierminister (Netanjahu) besuchte, nachdem der Internationale Strafgerichtshof (ICC) wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen einen Haftbefehl gegen diesen erlassen hatte. Nach unserer bescheidenen Kenntnis ist das in der Geschichte des ICC zum ersten Mal vorgekommen. Hat das irgendjemand thematisiert? Haben wir etwas übersehen?
Aber sei‘s drum. Das Einzige, was in den deutschen Feuilletons zum gigantischen Skandal werden kann, ist die zart angezweifelte Jüdischkeit eines Chefredakteurs, der aus ganz anderen, nämlich fachlichen Gründen schon längst einmal hätte auffallen müssen. Ob nun nach den Soli-Festspielen für Engel die Jüdische Allgemeine noch stärker zum unangreifbaren Leitmedium der deutschen Feuilletons werden wird? Und ob Engel die Feuilletons weiterhin geißeln wird?
Aber es gibt nicht nur schlechte Nachrichten. Die anderen Stimmen in dieser Debatte sind nicht einfach weg, sie sind bloß allesamt ausgewandert. Das, was das deutsche Feuilleton zuletzt zu Frank Schirrmachers Zeiten vollumfänglich geleistet hat (Stichwort Rede — Gegenrede), findet woanders weiterhin statt. Große, seriöse und kluge oder einfach nur ganz andere, unerwartete Texte werden weiterhin geschrieben, etwa in der Berlin Review, im Verfassungsblog, im Kursbuch und im guten alten Merkur samt seinem digitalen Blog. Besonders wichtig ist, dass tiefschürfende Texte wie „Infinite License“ von Omer Bartov aus der New York Review of Books ins Deutsche übersetzt werden (ebenfalls in der Berlin Review). Auch die „kleineren“ Feuilletons von taz und FR erfüllen immer noch tapfer das Gebot der Meinungspluralität. Das nd, vormals Neues Deutschland trägt durch eigene Recherchen und nicht bloß eigenes Meinen viel Erhellendes bei. Und wer schließlich wissen will, welche Töne andere jüdische Publikationen anschlagen, der lese etwa tachles aus der Schweiz. Dessen Chefredakteur Yves Kugelmann verfasste kürzlich einen Kommentar, der sich in jeder großen deutschen Zeitung gut gemacht hätte. Warum das nicht möglich ist, werden die betreffenden Chefredakteure und Blattmacher, abzüglich der verfolgten Unschuld von der Jüdischen Allgemeinen, hoffentlich zumindest für sich selbst beantworten können. Geschlossene Weltbilder zeichnen sich allerdings leider dadurch aus, dass sie nichts über sich wissen.