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Der postmoderne Faschismus

Dagmar Herzog

Das faschistische Zusammenspiel von Rassismus und Behindertenfeindlichkeit

Foto © 1980 von Walter Pehle
Foto © 1980 von Walter Pehle

WORAN ERKENNT MAN EINEN FASCHISMUS? In den letzten zwanzig Jahren hat sich ein Aufstieg rechtsextremer Bewegungen und Parteien vollzogen, die lange Zeit als überwunden galten – ein schmerzhaftes und schockierendes Phänomen für viele, jedoch beflügelnd und erfreulich für andere. Auf globaler wie lokaler Ebene leben wir nicht mehr „nach dem Faschismus“, sondern plötzlich wieder mittendrin. Erneut sehen wir, wie Rassismen unterschiedlicher Art manchen Menschen ein erhöhtes Selbstwertgefühl liefern, wie sexuelle Minderheiten herabgesetzt und lächerlich gemacht werden und wie das mühsam errungene Recht auf reproduktive Selbstbestimmung infrage gestellt wird.

Schrille Empörungskampagnen peitschen Gefühle auf, zugleich macht sich eine unheimliche Freude am Tabubruch breit. Ohne die gewaltigen Unterschiede zwischen damals und heute ignorieren zu wollen – man denke an die wachsende Undurchsichtigkeit des globalen Finanzkapitalismus oder die durch die sozialen Medien und ihre Filterblasen verstärkte Polarisierung und Fragmentierung in der Wirklichkeitswahrnehmung –, wird durch die aktuellen Entwicklungen an vielen Orten leider das, was in Zentraleuropa in den 1930er- und 1940er-Jahren geschah, um so manches gefühlsmäßig nachvollziehbarer und verständlicher. Wie kann es sein, dass die Bürger:innen verschiedener Länder so fehlgeleitet sind, „gegen ihre eigenen Interessen“ zu wählen? Und warum biedern sich Politiker:innen aus dem eher progressiven oder gemäßigten Spektrum auf einmal so bereitwillig rechtsgerichteten Positionen an? Immer deutlicher wird, dass der Erfolg neuer, rechter Bewegungen nicht nur etwas mit Angst oder Wut zu tun hat, sondern ganz eindeutig auch mit der Lust an Aggression, Gemeinheit und Gewalt. 

Ein Beispiel für solche neuen, rechtsextremen Bewegungen ist die deutsche Partei Alternative für Deutschland(AfD). Ihre Politik lässt sich am besten als eine Art postmoderner Faschismus beschreiben.

Ein Beispiel für solche neuen, rechtsextremen Bewegungen ist die deutsche Partei Alternative für Deutschland (AfD), die 2017 in den Deutschen Bundestag einzog und seitdem erschreckende Höhenflüge erlebt: Bei den Bundestagswahlen 2025 erreichte sie mit 20,8 Prozent das zweitstärkste Wahlergebnis. Ihre Politik lässt sich am besten als eine Art postmoderner Faschismus beschreiben. Postmodern in dem Sinn, dass sie geschickt selbstreflexiv vorgeht und geradezu Vergnügen daran findet, mit der unausweichlichen Anfechtbarkeit und Instabilität von Wahrheit zu spielen. Faschistisch, da die Partei die Ideale menschlicher Gleichheit und Solidarität vehement ablehnt und Bosheit gegenüber den Menschen an den Tag legt, die sie als verletzlich ausmacht; da sie rassifizierende Erklärungen für komplexe wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamiken in Umlauf bringt; und nicht zuletzt, da sie ein narzisstisches Verlangen nach Größe bedient.

Einigendes Hauptethos der Partei ist der anti-migrantische Rassismus; damit einher gehen unverfrorene Bemühungen, bestehende Rechtsnormen zu verschieben, indem neue Konzepte eingebracht und so lange propagiert werden, bis sie normalisiert sind. Das jüngste Beispiel ist das Vorhaben der Remigration von Migrant:innen und Asylsuchenden. Im öffentlichen Diskurs angekommen verlor der Begriff schnell an Schockwert, machte sogar den Sprung über den Ozean, wo Donald Trump ihn aufgriff. In Deutschland mündete die Einführung des Begriffs nicht zuletzt zu Diskussionen in den anderen politischen Parteien darüber, welche Migrant:innen aufgrund ihres pflichtbewussten Arbeitsfleißes und gelungener kultureller Integration ein Bleiberecht verdienen.

Am Beispiel des bemerkenswerten Erfolgs der AfD möchte ich das affektive Wirken sowohl weit zurückliegender als auch gegenwärtiger Faschismen untersuchen und dabei besonderen Fokus auf zwei verknüpfte Bereiche legen: zum einen auf das Phänomen, das ich als sexy Rassismus bezeichne, zum anderen die obsessive Beschäftigung mit Behinderung, die sich auf vielfältige Weise zeigt und im Fall der AfD insbesondere in der Ablehnung der Inklusion in Regelklassen von Kindern mit kognitiven Beeinträchtigungen oder emotionalen Verhaltensauffälligkeiten.

Sexy Rassismus

Ein Anteil des Erfolgs der AfD liegt in ihrer Betonung von „traditionellen Familienwerten“ – während sie zugleich, in nur scheinbarem Widerspruch, provokativ und gezielt Erotisierungen einsetzt. Wie schon angedeutet, offenbart sich in dieser Kombination aus Rassismus und kitzelnder Erregung ein besonders starker Widerhall des Nationalsozialismus. Diese gezielte Widersprüchlichkeit ist äußerst zweckmäßig, denn so werden neue Öffentlichkeiten erreicht, während Gegner:innen ins Leere laufen. Der gewitzte Humor bietet Unterhaltungswert, und bei Kritik lässt sich alles einfach leugnen. Kontextabhängig stilisiert sich die Partei beispielsweise als zugleich homofeindlich und homofreundlich. Einerseits feiern AfD-Politiker:innen einen nationalistischen „Stolzmonat“ mitsamt Slogans „gegen Regenbogenmist und Genderirrsinn“, um ihren Antagonismus gegenüber der LBGTQ-Pride-Bewegung auszudrücken. Andererseits werden im Wahlkampf mit unverhüllt rassistischen Slogans schwule und lesbische Stimmen umworben: „Mein Partner und ich legen keinen Wert auf die Bekanntschaft mit muslimischen Einwanderern, für die unsere Liebe eine Todsünde ist.“ (Abb. 1 und 2)

Abbildung 1: Kampagne der AfD, Landesverband Thüringen, als Gegenaktion zum Pride Month 2023
Abbildung 2: Plakat der AfD im Rahmen des Wahlkampfs für das Berliner Abgeordnetenhaus 2016

Ähnlich gemischt sind die heterosexuellen Botschaften der Partei. Sie steht für die „traditionelle Familie“ ein und verweist augenzwinkernd auf Sex unter Jugendlichen. Sie zelebriert die Sinnlichkeit schwangerer Körper und die keusche, anständige weiße Mutterschaft, stellt junge Frauen aber auch gerne in knappen Bikinis und als vollbusige Wirtinnen dar. Sie schürt Ängste vor Vergewaltigung durch nichtweiße Männer und ergreift zugleich selbst die Gelegenheit, weibliche Nacktheit im öffentlichen Raum zu präsentieren. Für ein großformatiges Wahlplakat (Abb. 3) wurde Jean-Léon Gérômes Gemälde Sklavenmarkt mit dem Slogan „Damit aus Europa kein ‚Eurabien‘ wird!“ kombiniert (der Buchumschlag von Edward Saids Orientalismus zeigte ebenfalls eine Abbildung aus Gérômes Werk). Schon vor Jahrzehnten wies die feministische Kunsthistorikerin Linda Nochlin darauf hin, dass diese Kategorie der Malerei weißen Männern wunderschöne, nackte Haut bietet und ihnen die Möglichkeit gibt, sich moralisch überlegen gegenüber nichtweißen Männern zu fühlen. Das Wahlplakat stellt also weibliche Nacktheit im öffentlichen Raum zur Schau. Es bestehen bemerkenswerte Ähnlichkeiten zu Bildern aus dem nationalsozialistischen Stürmer, auf denen immer wieder eine nackte, blonde Frau dargestellt wurde, die von jüdischen Männern – oder Schlangen mit jüdischen Namen – bedroht wird. In Schaukästen auf Marktplätzen ausgestellt, zogen die Ausgaben Scharen von Jugendlichen und anderen „Voyeuren“ an (Abb. 4).

Abbildung 3: Wahlplakat der AfD im Rahmen der Berliner Europawahl 2019. Es zeigt das Kunstwerk Der Sklavenmarkt von Jean-Léon Gérôme (1866)
Abbildung 4: Vier Kinder und zwei Männer vor einem Schaukasten der antisemitischen Wochenzeitung Der Stürmer aus den 1930er Jahren

Man kann übergreifend feststellen – was bisher in der Forschung wenig Aufmerksamkeit erhalten hat –, dass die strategisch erfolgreiche Verwendung von Erotik tatsächlich zu den stärksten Echos zwischen der AfD und den Nationalsozialisten zählt, deren Spektrum ebenfalls von erotisiert idyllischen Darstellungen des Stillens zu einer Fülle von Aktbildern geschmeidiger Schönheiten reichte (Abb. 5). In einem AfD-Plakat von 2019 war die Strategie noch die einer plumpen Horrorfilm-Ästhetik. 2024 wurden die Bilder unheimlicher und grausamer, so – in Bezug auf erwähnte Remigration – das sexy-rassistische Musikvideo mit der Tagline „Remigration Hit“ (Abb. 6). Die Botschaft ist makaber und unverblümt dreist: eine KI-erzeugte Bildwelt spielt auf die berüchtigte Partynacht in Sylt an, bei der wohlhabende junge Deutsche dabei gefilmt wurden, „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ zu singen. Bedrückte, erniedrigte Männer mit (mutmaßlichem) migrantischem – afrikanischen oder arabischen – Hintergrund werden von „arischen“ Piloten und tanzenden Stewardessen in hunderte Flugzeuge gepfercht. Dieser neue Grad von Erregung und Rausch, das unverhohlene Ausstellen viriler Überlegenheitsgefühle gegenüber Männern dunkler Hautfarbe, scheint mir auf eine Verschiebung in den fünf Jahren zwischen 2019 und 2024 hinzuweisen. Das sexualisierte Heraufbeschwören von Gefahren (mittlerweile in der Mitte des politischen Spektrums angekommen, von den Christdemokrat*innen bis zu den Grünen) hat einem Modus ungehemmter Prahlerei, einem Reich der Schadenfreudeden Weg geebnet. Oder wie Adam Serwer es in Bezug auf den Trumpismus auf den Punkt bringt: „Die Grausamkeit ist Programm“. Die Geheimbotschaft des Faschismus an seine Anhänger:innen ist nicht die der Unterdrückung, im Gegenteil, er stellt Freibriefe zu ungehemmten Verhalten bei Straflosigkeit aus. Es geht, wie die Politikwissenschaftlerin Robyn Marasco festgestellt hat, um Teilhabe am Ausüben von Macht. Die Ministerin für Heimatschutz unter Trump, Kristi Noem, verkörpert ganz ähnliche Formen eines sexy Rassismus (Abb. 7).

Abbildung 5: Plakat für den Wahlkampf der AfD 2019 in Sachsen
Abbildung 6: Ein KI-generiertes Wahlkampfvideo der AfD mit dem Titel
„Remigration Hit“ im Rahmen des Landtagswahlkampfes in Brandenburg 2024
Abbildung 7: Kristi Noem, Ministerin für Innere Sicherheit der USA in Tecoluca, El Salvador, im sogenannten „Terrorismus-Eindämmungszentrum“

Die obsessive Beschäftigung mit Behinderung

Es gibt jedoch noch ein weiteres charakteristisches Element der AfD-Politik: die offene und anhaltende Agitation gerichtet  gegen Menschen mit Behinderung. Weltweit gibt es keine andere Partei im rechten Spektrum, die dieses Anliegen mit einer solchen Hingabe verfolgt. Die AfD bedient sich dabei den klassischen Narrativen der Behinderungsfeindlichkeit – schon vor dem Nationalsozialismus weit entwickelt, aber im Dritten Reich mit massiver Propaganda und besonderer Grausamkeit verfolgt –, indem sie auf bewährte affektive Strategien setzt, insbesondere das Aufrufen von Ekel und wirtschaftlichen Sorgen.

Diese Kombination zeigte sich mit besonderer Deutlichkeit in einer formalen „Anfrage“ an die Bundesregierung aus dem Jahr 2018 zur (fabrizierten) Problematik, dass in migrantischen Familien vermeintlich überdurchschnittlich viele Kinder mit kognitiven Beeinträchtigungen geboren würden – aufgrund der (erneut imaginären) Verbreitung „inzestuöser“ Ehen zwischen Blutsverwandten unter Flüchtlingen. Tatsächlich greift diese muslimfeindliche Behauptung ein vorhandenes, antisemitisches Motiv aus den 1920er-Jahren auf, als behauptet wurde, dass unter Jüdinnen und Juden unverhältnismäßig viele Kinder mit kognitiven Einschränkungen geboren würden, was auch in diesem Fall auf die behauptete Verbreitung von Ehen zwischen Blutsverwandten zurückgeführt wurde. Zwar sorgte die Aktion der AfD für Empörung und Kritik aufseiten von Kirchen und Behindertenverbänden, aber die Partei ließ sich nicht abhalten – ein Fraktionsmitglied verteidigte die Fragen als „eine Form der Recherche“.

Besonders hartnäckig ist die AfD aber in der Ablehnung der Inklusion von Schüler:innen mit Behinderungen in Regelschulen. Die Forderung nach Inklusion scheint für die Partei der verwerflichste Punkt der erst kürzlich errungenen Rechte für Menschen mit Behinderung zu sein

Besonders hartnäckig ist die AfD aber in der Ablehnung der Inklusion von Schüler:innen mit Behinderungen in Regelschulen. Die Forderung nach Inklusion scheint für die Partei der verwerflichste Punkt der erst kürzlich errungenen Rechte für Menschen mit Behinderung zu sein, nachdem Deutschland 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ratifizierte. Es folgten weitreichende Verbesserungen in Deutschland, die von einem Rechtsexperten als „beispiellose Erfolgsgeschichte“ eingeordnet wurden. Das „Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen“ (abgekürzt Bundesteilhabegesetz, BTHG), das zwischen 2017 und 2023 in Kraft trat, behandelt Menschen mit Behinderung als Expert:innen in eigener Sache. Sie selbst – nicht Bürokrat:innen oder Sozialarbeiter:innen – können bestimmen, mit wem sie leben wollen, und ihre Assistenzpersonen selbst wählen. Auch in der Gesetzgebung zur Vormundschaft hat ein wichtiger Paradigmenwechsel stattgefunden: Wille und Wünsche der Person mit Behinderung sind zu respektieren.

Im Bildungsbereich aber besteht in der Öffentlichkeit und auf politischer Ebene Uneinigkeit. Artikel 24 der UN-BRK sieht die Abkehr von segregierten Förderschulen vor, die sich an Kinder mit verschiedenen Behinderungen richten. Von Anfang an sollte der Besuch von Regelschulen in Wohnortnähe möglich sein. Die Erwartungen waren hoch, dass das deutsche Schulsystem nun Kinder in aller Vielfalt ihrer Fähigkeiten willkommen heißen müsste. Das UN-Handbuch für Abgeordnete – bereits 2007 ins Deutsche übersetzt – beschrieb optimistisch, wie unproblematisch, einfach und kostengünstig es sein würde, Lehrer:innen von Beginn an in inklusiven Methoden zu schulen. Doch es kam anders. In Deutschland sind Widerstände gegen Inklusion zu beobachten, die weit über die AfD hinausreichen. Immer noch besteht eine starke Bindung an das hierarchische, kompetitiv-selektionistische, dreigliedrige Schulsystem, nach dem Kinder teils schon mit zehn Jahren je nach prognostizierter Leistungsfähigkeit auf verschiedene Bildungswege geschickt werden: Gymnasium (mit der Aussicht auf ein Studium), Realschule (mittlere Anstellungen) und Hauptschule (Arbeiter:innenklasse), ergänzt um die segregierten Förderschulen. Die AfD mobilisierte früh Widerstand, mit unverhohlener Verachtung in der Sprache.

Es ist kein Zufall, dass, wie beim sexy Rassismus, so bei der Anfeindung gegen Menschen mit (angeblichen oder tatsächlichen) Behinderungen, ob kognitiver oder physischer Art, Gemeinsamkeiten mit Trump bestehen.

Mit welchen tiefliegenden Unsicherheiten hinsichtlich der Intelligenz der Bevölkerung haben wir es zu tun, wenn die Vorstellung, dass Kinder mit und ohne Behinderung Zeit miteinander verbringen, zu einem solchen Streitpunkt werden kann? Schon das AfD-Parteiprogramm von 2016 kritisierte nicht nur die „erhebliche[n] Kosten“ der Inklusion, sondern stellte auch fest, dass andere Schüler:innen in „ihrem Lernerfolg“ behindert würden. 2018 setzten sich AfD-Politiker:innen pointiert für eine Wiedereinführung des „Leistungsprinzips“ anstelle eines „Kuschelunterrichts“ ein (Abb. 8). Ein Politiker ging so weit, das gemeinsame Unterrichten von Kindern mit Down-Syndrom und solchen, die „ganz normal, gesund sind“, mit dem Zusammenlegen in einem Krankenhaus von Patient:innen mit „schweren ansteckenden Krankheiten“ und anderen Patient:innen zu vergleichen. Es ist dies eine obsessive Beschäftigung, die über die Jahre als Kontinuum der AfD-Parteiprogramme, auch auf regionaler Ebene, beobachtet werden kann. Berühmt-berüchtigt ist in dieser Hinsicht ein Fernsehinterview aus dem Jahr 2023 mit dem führenden AfD-Politiker Björn Höcke (Spitzenkandidat der Landtagswahl 2024 in Thüringen, als die AfD dort 32 Prozent der Stimmen holte). Er kritisierte die schulische Inklusion von Kindern mit Behinderung, indem er behauptete, dass dies die Entwicklung nichtbehinderter Jugendlicher hin zu den „Fachkräfte[n] der Zukunft“ einschränke. „Gesunde Gesellschaften haben gesunde Schulen“, so Höcke, aber derzeit fielen deutsche Kinder in den „Grundkenntnissen“ in Deutsch und Mathematik zurück. Die vermeintliche Ursache für diesen erschreckenden Verfall? Nach Höcke „müssen wir das Bildungssystem auch befreien von Ideologieprojekten, beispielsweise der Inklusion“. 

Abbildung 8: Facebook-Kampagne gegen schulische Inklusion des AfD-Abgeordneten Markus Frohnmaier aus Baden-Württemberg in 2018

Über die German angst, als Nation nicht intelligent genug zu sein, gäbe es viel zu sagen. Schon vor einem Jahrzehnt fragte Kirsten Ehrhardt, Inklusionsaktivistin und Mutter eines Sohns mit Down-Syndrom: „Werden tausend Schüler dümmer, weil Henri da sitzt?“. Aber ein noch wichtigerer Punkt ist der, dass Inklusion im deutschen Bildungswesen tatsächlich bisher kaum effektiv umgesetzt wurde. Aus diesem Grund können die vermeintlich so geringen Kompetenzen deutscher Schüler:innen faktisch nichts mit Inklusion zu tun haben. Die Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Unterzeichnerstaaten wird regelmäßig evaluiert. Für Deutschland werden dabei durchweg gravierende Mängel festgestellt, und zwar ganz zentral in puncto Nichtumsetzung der Inklusion. Der Angriff der AfD auf Inklusion ist also nicht, was er vorgibt. Man könnte vielmehr von einer präventiven Konterrevolution sprechen: Nicht von einem „Backlash“, sondern einem „Frontlash“ – ein vorweggreifender Angriff auf eine Entwicklung, die auf breiterer Ebene noch gar nicht unternommen wurde.

Es ist kein Zufall, dass, wie beim sexy Rassismus, so bei der Anfeindung gegen Menschen mit (angeblichen oder tatsächlichen) Behinderungen, ob kognitiver oder physischer Art, Gemeinsamkeiten mit Trump bestehen. Er äußert sich immer wieder öffentlich und privat mit gezieltem, schmähenden Spott. Deutlich zeigte sich diese Haltung, als er 2015 verächtlich und aggressiv den Journalisten Serge Kovaleski aufgrund von dessen Arthrogryposis-bedingten Gelenkkontrakturen nachahmte. Zum Ausdruck kam sie auch in Bemerkungen gegenüber seinem Neffen Fred Trump III, dessen erwachsener, geliebter Sohn William schwere Beeinträchtigungen hat. Nachdem Fred während der ersten Amtszeit seines Onkels mit einer Gruppe betroffener Eltern-Aktivist:innen das Weiße Haus besuchte, äußerte sich Trump wie folgt: „Diese Leute“, sprich Erwachsene mit mehrfachen und schweren Behinderungen, „der Zustand, in dem die sind, das kostet nur, vielleicht sollten die Art Leute einfach sterben.“ (Er ging zu einem späteren Zeitpunkt so weit, Fred direkt zu sagen, dass das vielleicht auch für William gelte.) Diese Haltung hallt außerdem wider in seiner absurden Behauptung, dass Kamala Harris „zurückgeblieben“ sei, während er sich ständig als „gescheit“ und mit „guten Genen“ ausgestattet beschreibt. Genauso grotesk war kurz nach dem zweiten Amtsantritt die von ihm postulierte These, dass die Schuld für ein tragisches Flugzeugunglück bei Mitarbeitenden der Luftfahrtbehörde mit „‚schweren kognitiven‘ Behinderungen“ liege, die angeblich unter seinem Vorgänger Joe Biden angestellt worden seien, wo doch in der Flugsicherung nur „unsere besten Köpfe … Talente, Naturtalente“ benötigt würden, „Genies“.

Dagmar Herzog: „Der neue faschistische Körper“, Aus dem Englischen von Lisa Jay Jeschke, mit einem Nachwort von Alberto Toscano, Wirklichkeit Books, 2025

Dagmar Herzog ist Distinguished Professor of History am Graduate Center der City University New York. Sie ist Autorin zahl- reicher Publikationen zur Sexual- und Geschlechtergeschichte der Moderne, zur Holocaustforschung und zur Geschichte der Religion.

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