Männer ohne Eigenschaften

Ben Miller

In den drei uninspirierten Kanzlerkandidaten spiegelt sich die Misere Deutschlands

Scanned and edited illustration from Graham Greene’s The Third Man, The Viking Press (1950)

Olaf Scholz, Friedrich Merz, Robert Habeck — gab es je eine noch trostlosere Wahlmöglichkeit als diese drei Männer? Gab es je Kanzlerkandidaten, die die Erschöpfung, Dummheit und Selbsttäuschung der politischen Elite eines Landes perfekter verkörpert hätten? Scholz, ein griesgrämiger Mittelmanager ohne jede Inspiration, Begabung oder Ausstrahlungskraft, verwickelt in einen Steuerskandal, der den Staat Milliarden kostete, und der nie Kanzler hätte werden dürfen. Er gewann die Wahl nur aufgrund der Fehler seiner Gegner. Merz, ein in die Jahre gekommener Vertreter der ewig wirtschaftshörigen Konservativen der westdeutschen 1980er-Jahre, ist aufbrausend, jähzornig und scheint zu glauben, er könne im Alleingang das Land zurück in die guten alten Bonner Zeiten katapultieren, als Männer noch Männer waren und Mercedes noch Diesel schluckten. Habeck, auf seine stille Art der Verachtenswerteste der drei, mimt den Kostüm-Intellektuellen, besessen von Inszenierung — ein selbsternannter Antirassist, dessen bekannteste Rede der letzten vier Jahre alle muslimischen Migrant:innen in Deutschland pauschal als Sicherheitsrisiko verleumdete: allesamt Antisemiten, bis zum Beweis des Gegenteils.  

Deutschland hat eine alternde Bevölkerung, miserables Internet, eine komplexe Bürokratie, kaputte Züge und feudale, provinzielle Universitäten. All die Probleme dieses Landes entspringen dem Doppelübel von Austerität und Rassismus.

Keiner dieser Männer hat irgendeine Lösung für die tiefe Krise, in der Deutschland gerade steckt. Das Wirtschaftsmodell der Bundesrepublik — niedrige Löhne, wettbewerbsfähige Exportpreise — ist zusammengebrochen unter dem kombinierten Druck der Post-Covid-Inflation und angesichts einer Weltbevölkerung, die immer weniger bereit ist, einen Aufpreis für „Made in Germany“ zu zahlen. Angela Merkels katastrophale Kanzlerschaft hat zwar den Lebensstandard während der Finanzkrise erhalten, erkaufte dies aber durch eine unsichtbare Austerität, die künftige Investitionen abwürgte. Deutschland hat eine alternde Bevölkerung, miserables Internet, eine komplexe Bürokratie, kaputte Züge und feudale, provinzielle Universitäten. All die Probleme dieses Landes entspringen dem Doppelübel von Austerität und Rassismus.

Scholz und Habeck, die 2021 mit großen Fanfaren und der erklärten Absicht angetreten sind, in einer „Fortschrittskoalition“ mit der FDP das Land zu verwandeln, sind seit dreieinhalb Jahren an der Macht und stehen dem allgemeinen Niedergang vor. Der Fairness halber: Sie hatten schlechte Karten — die bereits existierenden Probleme wurden durch Russlands Invasion der Ukraine Anfang 2022 noch verschlimmert. Im darauffolgenden Sommer wurde klar, dass ihr Koalitionspartner, der realitätsferne Neoliberale Christian Lindner, gegen sie statt mit ihnen regieren würde: Seine Partei, die FDP, verzögerte systematisch viele sozialpolitische Initiativen der Regierung (Selbstbestimmungsgesetz, deutschlandweites Nahverkehrsticket, doppelte Staatsbürgerschaft, Cannabis-Legalisierung) und blockierte alles, was Geld gekostet hätte. Die Koalition hing am seidenen Faden, während sich die Beteiligten mit Presseleaks gegenseitig die Messer in den Rücken stießen — was alle demontierte, die dabei waren.

Wo Scholz und Habeck die vorhandenen Probleme nur kraftlos adressieren, leugnet Merz sie schlichtweg und schlägt stattdessen vor: Desinvestition in grüne Energie, Rücknahme der sozialen Liberalisierungen von Scholz und Habeck und satte Steuersenkungen für die Reichen. Trotz dringendem Bedarf an Einwandernden für die Funktionsfähigkeit des Sozialstaats und als Antwort auf den Fachkräftemangel setzen alle drei Männer auf schärfere Migrationskontrollen.

In dieser Lage ist es nicht verwunderlich, dass die extreme Rechte rasant an Unterstützung gewinnt. Statt ihre Position dem politischen Konsens anzunähern, haben sie es geschafft, den Konsens in ihre Richtung zu verlagern. Die etablierten Parteien haben ihnen dabei in die Hände gespielt. Eine vermeintlich mitte-links situierte Regierungskoalition hat die letzten anderthalb Jahre damit verbracht, munter xenophobe Ressentiments zu schüren und verfassungsgemäße Garantien für freie Meinungsäußerung, Versammlung und Demonstration auszuhebeln: Staatlich geförderte Kunstzentren und Sozialeinrichtungen wurden geschlossen — wegen den politischen Privatmeinungen ihrer Mitarbeitenden. Kritische Akademiker:innen wurden ausgeladen und entlassen. Demonstrationen wurden von Polizeieinheiten in schwerer Montur unterdrückt, Protestparolen nach Belieben verboten, ja, ganze Sprachen von der Straße verbannt und zu guter Letzt Demonstrierende bewusstlos geprügelt. Es sollte nachdenklich stimmen, dass die AfD-Politikerin Beatrix von Storch — Enkelin von Hitlers Finanzminister, der die Enteignung jüdischen Eigentums während des Holocaust beaufsichtigte — den Grünen und Sozialdemokrat:innen dafür dankt, endlich eine Resolution zum Antisemitismus verabschiedet zu haben, die sich auf das vermeintliche Kernproblem konzentriert: den sogenannten „importierten Antisemitismus“. Diese Geschichte hätte man nicht erfinden können.

Es wird das liberale Establishment erleichtern, dass die Männer ohne Eigenschaften nach diesen Wahlen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Regierung bilden werden.

Als Merz drei Wochen vor den Bundestagswahlen zusammen mit eben jener Nazi-Erbin und ihrer Partei voller Rechtsextremisten dafür stimmte, Asylsuchende künftig schon an den deutschen Grenzen abzuweisen, während er im Bundestag zusammenhangslos von völlig fiktiven „täglichen Gruppenvergewaltigungen“ deutscher Frauen „aus dem Milieu der Asylbewerber heraus“ faselte — wie jeder andere Boomer-Onkel mit terminalem Facebook-Hirn —, schnappte das liberale deutsche Establishment entsetzt nach Luft. Es ist dasselbe Milieu, das in den letzten vier Jahren genau dieselben rassistischen Fieberträume, dieselben autoritären Maßnahmen beklatscht hat. Es wird das liberale Establishment erleichtern, dass die Männer ohne Eigenschaften nach diesen Wahlen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Regierung bilden werden. Ohne jeden Plan zu ihrer Lösung werden Deutschlands Probleme nur verheerender, die Reichen reicher, die Armen ärmer werden. Ein Lichtblick zeigt sich in einer Linkspartei, die spät, aber nicht zu spät, ihr Rückgrat wiedergefunden hat. Und währenddessen warten die Nazis der AfD schon in den Startlöchern — für die Bundestagswahl in vier Jahren.

Ben Miller ist Schriftsteller, Historiker und Autor von „Bad Gays: A Homosexual History“ (Verso, 2022).

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