Land ohne Pfad

Wir leben in einem Roman von Philip K. Dick, die Behauptung des Gegenteils wäre dafür nur ein weiterer Beweis. Dieses ständige Rauschen aus Lügen und Leugnung; Großkonzerne, die das Schattenselbst gegen das Authentische in Stellung bringen; und überall Faschismus: der nordkalifornische Sci-Fi-Mystiker hat all das vor seinem frühen Tod 1982 kommen sehen. Das weiß auch, wer nur Blade Runner und Total Recall kennt.
Die Bücher selbst werden zu wenig gelesen. Und trotz Verweisen auf das unheimliche Heute im Nachwort der Übersetzerin Claudia Hamm (die betont, ohne KI gearbeitet zu haben): Dass Ich lebe und ihr seid tot jetzt nach 32 Jahren in deutscher Übersetzung erscheint, liegt nicht am Interesse an Dick, sondern dass sein Biograph Emmanuel Carrère heißt.
Er erzählt Dicks Geschichte als die eines ganzen Mannes, der sich mit, aber nicht in Amerika unwohl fühlt. Er hat Ehen, Affären und Kinder, und er schreibt viel: gute Sätze und schlechte voller scharfsichtiger Ideen und Metaphern. Dann wird er im Frühling ‘74 von Prophetie befallen und ringt bis zu seinem Tod mit Visionen – oder kleinen Schlaganfällen durch Amphetaminkonsum.
Die offensichtlichen Carrèrismen wie Überprojektion und Memoireinschübe bleiben begrenzt. Die Romanbiographie ist merkwürdig altmodisch, und fast rührend, wenn seine Romane direkt aus Dicks eigenem Leben heraus erklärt oder wenigstens nacherzählt werden. Das ist schließlich der Mythos eines richtigen Schriftstellers, dass er (sic!) aufs Papier blutet, und wenn es auch sein Leben ruiniert. Dieses Bild des einsamen Mannes (mit Frauen und Kindern), der wild in seiner Garage tippt, weil jeder Anschlag einen Wirbelsturm auslösen könnte, war früher bloß ein bisschen unschuldiger, vor dem Internet, vor allem.
Dick als seine eigene Hauptfigur, so will Carrère ihn schreiben, obwohl kaum eines seiner Worte im Buch wirklich von ihm stammt. Der Titel ist ein zweckentfremdetes Zitat aus Ubik. Aber trotz aller Selbst- und Rachsucht – wie der Versuch, das FBI auf Stanisław Lem zu hetzen – war Dick immer auf der Suche nach einem authentischen “wir”. Als Motto wird ihm das Zitat nicht gerecht.
Sein Land ist pfadlos und ohne festes Wissen. Carrère hat dafür eine Karte gezeichnet, eine von vielen. Es darf nur niemand glauben, einer eigenen Reise zu entgehen.