Alle sind jetzt alle
Übersetzt von Ron Mieczkowski

Eine Science-Fiction-Serie ist nur so gut wie ihre Grundidee. Je höher die Schublade, aus der das Konzept kommt, desto besser die Story. Mit Pluribus hat Vince Gilligan (der Macher von Breaking Bad) aus dem Stand einen Klassiker geschaffen: Während die gesamte Weltbevölkerung von einem Glücklichkeits-Virus infiziert wird, entdeckt die gefeierte Romance-Autorin Carol Sturka (gespielt von Rhea Seehorn), dass sie aus unerfindlichen Gründen immun dagegen ist. Das Virus macht alle „glücklich“ – und die Anführungszeichen sind hier absolut notwendig, denn die Serie strapaziert die Bedeutung des Wortes. Wie glücklich kann man eigentlich sein, wenn man nur noch Anweisungen befolgt? „Glücklich” darüber, anderen gute Laune zu bereiten – in diesem Fall Carol.
Als ihre Stadt von der Epidemie heimgesucht wird, landet unsere Heldin in einer Welt, in der alle um sie herum strahlen, helfen wollen, auf ihre Gesundheit achten, ihr Essen oder sonstige Dinge schicken, die sie brauchen könnte. Niemand kann Nein zu ihr sagen. Auch wenn sie sich eine Handgranate, eine Bazooka oder einen Panzer wünscht — wonach sie auch fragt, sie wird es bekommen.
Carol selbst hingegen will nur eines: Rückgängig machen, was auch immer hier zur Hölle passiert ist. Schon in den ersten Folgen merkt sie, dass das Virus die Menschen nicht nur glücklich gemacht, sondern sie zu einem einzigen Bewusstsein verschmolzen hat, einem kollektiven Wesen, das durch jede beliebige Person sprechen kann. „Wir wollen, dass du ein Teil von uns wirst“, sagen alle zu ihr. „Wir arbeiten daran, herauszufinden, wie das geht.“ Sie nimmt Kontakt auf mit anderen nicht-infizierten Menschen auf der Welt (es gibt sie). Doch schon bald merkt sie: Nicht alle haben etwas dagegen, dass alle jetzt alle sind. Carol möchte ihre Individualität bewahren und wehrt sich gegen die forcierte Glückseligkeit – und wird so zur unglücklichsten Person auf diesem Planeten.
Pluribus stellt große Fragen: Was bedeutet Autonomie? Was bedeutet Freiheit? Was bedeutet Gemeinschaft – vor allem, wenn man alleine gelassen werden möchte? Die Serie nimmt unsere hyperkapitalistische Realität auseinander, hinterfragt unser Verständnis von Verbundenheit und zeigt, wie permanentes Online-Sein und unsere wachsende Abhängigkeit von künstlicher Intelligenz langsam, aber sicher unser Denken und unseren Alltag übernehmen. Und dann stellt sich die Frage: Wäre es wirklich so schlimm, sich infizieren zu lassen und Teil dieses riesigen „Wir“ zu werden? Ein anderer Immuner stellt Carol diese Frage, sie ist die eigentliche Milliarden-Dollar-Frage: Wer sind wir, wenn wir nicht mehr wir selbst sind? Pluribus ist die Serie der Stunde.

