162 Tonnen Kriegsmaterial

Am frühen Morgen des 3. Oktober verließ die Ocean Gladiator den Hafen von Paulsboro, New Jersey. An Bord des Frachtschiffes unter US-Flagge befinden sich bis zu 563 Tonnen Kriegsmaterial, das teilweise von einem deutschen Metallkonzern hergestellt wurde. Im Moment ist das Schiff auf dem Weg zum Hafen in Wilmington, North Carolina, um dort vermutlich noch mehr Kriegsmaterial zu laden. Danach überquert die Ocean Gladiator den Atlantik. Ihr eigentlicher Zielhafen ist Ashdod in Israel, von wo aus Teile der Ladung voraussichtlich nach Ramat HaSharon transportiert werden sollen, einem Vorort von Tel Aviv und der Sitz von Elbit, einem der führenden Waffenhersteller Israels.
Letzte Woche aufgenommene Bilder zeigen das blau angestrichene Schiff mit einer Länge von 166 Metern und einer Breite von 23 Metern, während es im Hafen beladen wird, mehrere Kilometer von der Stadt Philadelphia entfernt. Versandunterlagen, die dem irischen Medium The Ditch vorliegen und vom Diasporist eingesehen wurden, zeigen, dass die Ocean Gladiator leere Bombenhülsen sowie mindestens 150 Kisten mit der Aufschrift „brass case cups“ transportiert. Allein die Kisten mit den Messinghalbzeugen wiegen insgesamt 162 Tonnen. Dabei handelt es sich um halbfertige Komponenten, die für die Herstellung von Patronenhülsen und Geschossmänteln verwendet werden. Die Spur der Ladung führt zurück zu einer Fabrik in Buffalo, New York, die der Wieland-Gruppe gehört, einem deutschen Metallkonzern und einem führenden Anbieter von Kupfer- und Messingprodukten.
Die Aufrüstung Israels und damit auch seine Kriegsführung in den besetzten palästinensischen Gebieten in den vergangenen zwei Jahren gelang dank der Beteiligung von Deutschland und Unternehmen in deutschem Besitz. Die jüngsten Pläne von Kanzler Merz, Waffenlieferungen die in Gaza eingesetzt werden könnten, nicht mehr zu genehmigen, sorgten im August für Schlagzeilen. Doch wie unsere eigene Recherche ergab, lief der Transport von Waffenteilen, die in Gaza verwendet werden, auch in den letzten zwei Monaten weiterhin über Deutschland, ebenso wie die Lieferung bereits genehmigter Rüstungsgüter. Wie neue Recherchen nun zeigen, reicht die Verstrickung deutscher Unternehmen in diese Aufrüstung noch deutlich tiefer.

Schmerzhafte Kompromisse
Wieland ist eines der führenden deutschen Unternehmen in der Kupferindustrie, mit 84 Standorten weltweit und mehr als 200 Jahre Unternehmensgeschichte . Gegründet 1820 in Ulm, wurde es zu einem zentralen Akteur im nationalen Metallsektor. Während des NS-Regimes profitierte das Unternehmen erheblich von seiner Eingliederung in die Kriegswirtschaft: Es produzierte Munitionsbestandteile und beschäftigte Zwangsarbeiter. Auf seiner Website beschreibt das Unternehmen ausführlich seine Rolle als nationalsozialistischer Musterbetrieb, betont jedoch, dass seine Führungskräfte zwar hohe Positionen in den Wirtschaftsverbänden des Regimes innehatten, aber gewiss “keine überzeugten Nationalsozialisten“ gewesen seien. Stattdessen wird dort behauptet, dass ihre „Verantwortung für das Unternehmen” sie zu „schmerzhaften Kompromissen“ in dieser “schwierige(n) Zeit” gezwungen habe.
Das Unternehmen, das heute weltweit mehr als 9.500 Mitarbeiter beschäftigt, ist stolz auf den Umgang mit seiner Vergangenheit. Im Jahr 2000 beteiligte sich Wieland finanziell an dem von der Bundesregierung initiierten Fonds „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. In seinem Verhaltenskodex erklärt das Unternehmen, die „Grundprinzipien der allgemeinen Menschenrechts Charta gemäß der UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ zu respektieren und betont, dass es “dieses Verständnis und eine strikte Einhaltung” auch „von unseren Geschäftspartnern“ erwartet.
Auf eine Anfrage des Diasporist, wie sich dieses Bekenntnis zu den Menschenrechten mit der Lieferung vieler Tonnen Kriegsmaterial an Israels führenden Waffenhersteller während des anhaltenden Angriffs auf Gaza vereinbaren lasse, gab das Unternehmen bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung keine Antwort. Laut der deutsch-palästinensischen Anwältin Nadija Samour verpflichtet Deutschlands Völkerstrafgesetzbuch die Bundesstaatsanwaltschaft dazu, immer dann Ermittlungen wegen Beihilfe zum Völkermord einzuleiten, wenn Deutsche daran beteiligt sind. Solche Verbrechen fallen auch dann unter die deutsche Gerichtsbarkeit, wenn sie von einem deutschen Unternehmen begangen werden, das z.B. von einer Fabrik in den USA aus operiert.

Im Rampenlicht
Ein neuer Bericht an den UN-Menschenrechtsausschuss schließt den Dutzenden anderer Institutionen an, die Israels Angriff auf Gaza als Völkermord beschreiben. Das lenkt das weltweite Augenmerk noch stärker auf die materielle Unterstützung für das israelische Militär, das weiterhin täglich für zahlreiche zivile Todesopfer verantwortlich ist. In ganz Europa koordinieren Hafenarbeiter*innen Aktionen, um Lieferungen von militärischer Ausrüstung nach Israel zu blockieren. In vielen Ländern gibt es auch juristische Anfechtungen gegen sie.
Am 19. September reichte eine Koalition von Anwält*innen und Menschenrechtsaktivist*innen offiziell einen Strafantrag gegen ehemalige und amtierende deutsche Regierungsvertreter ein. Sie beschuldigen diese, Beihilfe zu Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und dem Verbrechen des Völkermords in Gaza geleistet zu haben. Die Anzeige richtet sich außerdem gegen vier Führungskräfte der hiesigen Rüstungsindustrie, darunter Spitzenmanager von Rolls-Royce Solutions, Dynamit Nobel Defense und der RENK-Gruppe, die Getriebe für israelische Panzer liefert. Auf einer Pressekonferenz erklärte der Anwalt Benjamin Düsberg, diese vier Unternehmen seien deshalb ausgewählt worden, weil es direkte Beweise gebe, die sie mit den in Gaza begangenen Verbrechen in Verbindung bringen. Gleichzeitig betonte er, die Staatsanwaltschaft müsse noch weitere inländische Unternehmen untersuchen, die an der Aufrüstung der israelischen Streitkräfte beteiligt sind.
Gegen die Wieland-Gruppe wurde dabei keine Anzeige gestellt – noch nicht. Es bleibt aber zu bezweifeln, ob dieses juristische Risiko das Unternehmen und das Schiff dazu bringen wird, vom Kurs abzuweichen.
Zu anderen Mitteln greifen aktuell Aktivist*innen in Port Elizabeth, New Jersey. Sie haben gestern den Hafen blockiert, um die weitere Verschiffung von Kriegsmaterial nach Israel zu verhindern. Die Ocean Gladiator ist derweil immer noch auf dem Weg nach Wilmington und von da aus weiter nach Ashdod, wo sie am 23. Oktober ankommen soll.
Die meisten Hafenarbeiter*innen an der amerikanischen Ostküste werden von der Gewerkschaft International Longshoremen’s Association (ILA) vertreten. Anfragen des Diasporist an Ortsgruppen der ILA in North Carolina und New Jersey, ob sie sich wie ihre europäischen Pendants weigern werden, Waffen an Israel zu verladen, wurden noch nicht beantwortet.